Franzi’s Welt: Besuch von und nach Hause
Sie tritt aus der Station, zieht ihren Koffer hinter sich her, schaut sich um. Wirkt nervös, hibbelig und etwas verwirrt. Ich steige aus dem Auto, mache ein paar zaghafte Schritte in ihre Richtung. Bin nervös, hibbelig und etwas verwirrt. Denn dieses Mädchen habe ich schon so oft gesehen, habe schon so oft mit ihr gequatscht, sie gedrückt, gelacht. In Deutschland. Und jetzt ist sie hier, in den USA, in Connecticut, bei mir. Sie ist an einem Ort, in einem Leben, in das sie bisher noch nicht reingehört. Sie wird meine neuen Freunde, meine neue Familie, mein neues Leben kennenlernen. Wir werden in vergangenen Erinnerungen schwelgen, neue Erinnerungen schaffen. Ich werde das Beste aus beiden Welten haben – einen meiner Lieblingsmenschen aus Deutschland, mit dem ich meine Lieblingsorte, Lieblingsmenschen, Lieblingserfahrungen hier teilen kann.
Und dann wird es vorbei sein. Dann werden wir an der Bushaltestelle, am Bahnhof oder am Flughafen stehen. Wir werden uns noch einmal drücken, sagen „Ich will nicht, dass du gehst“ und „Ich will nicht weg“, aber auch „Bald sehen wir uns wieder“ und „Es war so schön“. Es werden Tränen fließen und ich werde mich fragen, warum ich das tue, warum ich hier bin, wenn doch die scheinbar wichtigsten Menschen so weit von mir entfernt sind. Und dann denke ich an meinen „Urlaub“ in Deutschland zurück und weiß die Antwort. Hier, in die Fremde, gehöre ich im Moment hin, das hier ist mein Zuhause.
Es war Juni, mein Koffer gepackt, meine Vorfreude auf dem Höhepunkt. Für den nächsten Tag stand ein Flug an, eigentlich nichts Ungewöhnliches. Ans Reisen und Fliegen hatte ich mich in den vorgegangenen Monaten schon mehr als gewöhnt, allerdings ging es dabei nie zurück. Immer weiter, immer voran, immer zum Neuen und Unbekannten. Und nun: zurück nach Deutschland, zurück in die Heimat. Erst einmal angekommen fühlte es sich genau so an: als sei ich in der Zeit zurück getreten, als sei ich von einem langen Urlaub zurückgekommen. Als sei der Traum zu Ende und ich wieder in der Realität angekommen. Die alten Freunde, die alte Umgebung, die alten Themen. Nur eins war anders. Ich. Neue Prioritäten, neue Erfahrungen, neuer Mensch. Und so schön es war, all meine Lieblingsmenschen wiederzusehen, so sehr merkte ich auch, dass ich dort im Moment nicht hingehörte.
Ich vermisse es, in Deutschland zu sein, meine Familie, meine Freunde, Traditionen und Essen. Aber ich vermisse all das nicht genug, um aufzugeben, was ich hier habe. Meine Gastfamilie, das Reisen, meine Freunde auf Zeit, die amerikanische Mentalität, das Gefühlschaos. Und jetzt kann ich das mit meiner Besucherin teilen, ihr zeigen, wer ich jetzt und hier bin, mit ihr reisen und entdecken.
Meinen ersten Besuch aus der alten Heimat hatte ich vor über einem Jahr, im Oktober. Drei Monate war ich von einer meiner besten Freundinnen getrennt gewesen, spontan kam sie für etwas über eine Woche zu Besuch. Ich freute mich, konnte es nicht erwarten, aber war auch etwas besorgt. Schon nach diesen paar Monaten, hatte ich das Gefühl, mich verändert zu haben, unabhängiger, erwachsener zu sein. Würde meine Freundin das verstehen? Würden wir uns auseinanderentwickelt haben, uns auf die Nerven gehen? Für mich – ich kenne auch einige, bei denen das anders war – war es nicht so. Ganz im Gegenteil, ich fühlte mich von all meinen Besuchern verstanden, wir wuchsen noch mehr zusammen, hatten uns ähnlich entwickelt, genossen das Zusammensein nach monatelanger Trennung – ob im alten oder neuen Zuhause.
Und deshalb werde ich auch über Weihnachten nochmal für eine Woche in Deutschland sein und deshalb würde ich am liebsten jeden, der mir wichtig ist, hierher einladen. Denn es geht nicht um den Ort, an dem man sich trifft, es geht nicht um die Länge der gemeinsamen Zeit oder die Besonderheit der gemeinsamen Erlebnisse. Es geht darum, zusammen zu sein, sich drücken zu können, zusammen zu lachen und in Erinnerungen zu schwelgen, ohne von Internetverbindungen und Zeitverschiebung abhängig zu sein. Es geht um die Menschen, die wir lieben, aber oftmals erst so richtig schätzen, wenn wir merken, wie grau es ohne sie ist.
Unter dem Tag Franzis Welt findest du alle Beiträge von Franzi, die in unserem Blog veröffentlicht werden.
Franzi beitreibt einen eigenen Blog. Schau mal rein um noch mehr aus ihrem spannenden Leben zu erfahren: https://franziefliegt.wordpress.com/

